Neulich war ich Lektorin. In zweifachem Sinne.
- An dem Tag habe ich ein Manuskript über Ernährung lektoriert.
- Und ich habe im Gottesdienst unserer Kirchengemeinde aus dem Alten Testament vorgelesen.
Ein toller Zufall, wie ich finde, dass ich beides mache.
Haben diese beiden Aufgaben eigentlich Gemeinsamkeiten?, überlegte ich so.
Klar, bei beiden lese ich. Aber darüber hinaus?
Bei beiden bin ich vorher etwas aufgeregt, wie ich zugeben muss. Immer noch. Nach so vielen Jahren.
Manuskript: Ich bin bei jedem Auftrag aufgeregt-gespannt. Was wird mich im Text erwarten? Werde ich ihn so optimieren können, wie ich es mir wünsche? Dass ich alle Fehler eliminiere und dass ich die Sätze so formuliere, dass der Text gern gelesen wird?
Bibel: Ich bin jedes Mal aufgeregt-nervös: im Vorfeld zu Hause, wenn ich mir die Bibelstelle ausdrucke und den Text zur Probe laut vorlese; wenn der Gottesdienst beginnt; wenn ich dann ans Ambo trete, auf die aufgeschlagene Bibel schaue. Werde ich mich verlesen? Werde ich zu schnell lesen? Werde ich mit der richtigen Betonung lesen?
Und dann – … bin ich drin. Wie damals bei den Reitturnieren. War ich erst einmal drin im Springparcours, wenn die Startglocke geläutet hatte, war alle Aufregung verflogen.
Manuskript: Wenn ich die ersten Sätze, die ersten Absätze, die ersten Seiten gelesen habe, versinke ich immer mehr im Kontext, sehe meine Korrekturen in den Zeilen zuvor, sehe meine Kommentare am Rand. Es läuft. Ich spüre keine Aufregung mehr. Ich fühle mich pudelwohl.
Bibel: Ich lese die Wörter, die Sätze. Ich höre meine eigene Stimme aus den Lautsprechern, die gut klingt, wie man mir schon glaubhaft versichert hat. Die Leute hören zu. Natürlich. Es läuft. Ich spüre keine Aufregung mehr. Ich fühle mich pudelwohl.