Die Aufgabe: mit Rollator von Harsum (bei Hildesheim) über Hannover nach München mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Spoiler:
- Es gab deutliche Mängel, vor allem bei der Deutschen Bahn.
- Ich hätte mich besser vorbereiten müssen.
- Die Leute sind sehr hilfsbereit!
Hintergrund: Meine Mutter benötigt ihren Rollator nicht mehr, dafür mein Schwiegervater. Also plane ich spontan, die Gehhilfe mit der Bahn die ca. 600 km nach München zu transportieren. Meinen sehr schweren Reiserucksack habe ich streckenweise auf dem Rollator fixiert.
Hier die Details der Reise, gegliedert in 7 Abschnitte:
Inhaltsverzeichnis
Part 1: S-Bahn fahren
Ein junger Mann lässt mich beim Aussteigen vor. Eine Minikante an den Türen erschwert ein leichtes Bahnsteigbetreten in Hannover. Eine junge Frau hebt meinen Rollator leicht an und lächelt mich an. Prima, das hat recht gut geklappt.
Sachliche Bewertung: 4 von 5 Sternen
Part 2: Ankunft am Hauptbahnhof Hannover
Nach dem Aussteigen entdecke ich auf dem Bahnsteig in ca. 20 m Entfernung sofort einen Aufzug. Er ist bereits voll, als ich ankomme. Ein junger Mann, nicht gehbehindert, will wieder aussteigen, als er mich sieht. Ich freue mich und sage „alles gut“.
Emotionale Bewertung: top
Part 3: In der Ladenpassage
Die Menschen strömen dicht an dicht hindurch. Es ist nicht leicht, diesen Strom zu durchbrechen, um auf „die andere Seite“ zu kommen. Ich beschließe, einfach draufloszufahren. Es klappt.
Emotionale Bewertung: okay
Part 4: Beim Shopping
Ich habe eine Stunde Aufenthalt und gehe in zwei Klamottenläden, einen größeren (A) und einen kleineren (B). Zwischen den Kleiderständern ist es eng, aber ich komme problemlos durch; die Leute lächeln mich an und machen mir Platz. Ich finde jeweils ein Oberteil und schiebe meinen Rollator zur Umkleide. Im Laden A gibt es mehrere Kabinen. Aber keine für mich und meinen Rollator. Also quetsche ich mich mitsamt dem guten Stück hinein, denn vor der Kabine will ich mein Gefährt nicht stehen lassen, weil meine Wertsachen im Gepäck sind. Geschäft B hat nur eine einzige Umkleidekabine. Der Rollator passt nicht mit rein, wenig überraschend, ich lasse also den Vorhang auf. Zum Anprobieren des Pullovers ziehe ich nur meine Jacke aus.
Sachliche Bewertung: 1 von 5 Sternen
Part 5: Bahnsteig betreten
Vor dem Shoppen habe ich schon ausfindig gemacht, dass es eine funktionstüchtige Rolltreppe hoch zu Bahnsteig 3 gibt, die ich jetzt nutze. Die Fahrt nach oben klappt (für mich), aber nur 2 der 4 Räder berühren eine Treppenstufe. Eine wackelige Geschichte. Dann naht das Ende der Rolltreppe – es wird zur Unfallgefahr! Den voll bepackten Rollator kann ich nur mit viel Mühe und Kraft über die kleine Kante auf den „festen Boden“ wuchten. Dabei schwanke ich, mir entweicht ein „Scheiße!“. Fazit: Eine Rolltreppe zu nutzen für gehbehinderte Menschen geht gar nicht, sie finden keinen Halt.
Sachliche Bewertung: keine, denn die Rolltreppenkonstruktion kann ja nichts für meine Schwierigkeiten. Zwischenfazit: Ich hätte einen Aufzug suchen müssen.
Part 6: Fahren mit der Deutschen Bahn
Die App der DB hält dieses Mal keinen Wagenstandanzeiger bereit. Das ist schlecht. Die 2. Klasse soll im Abschnitt A bis C einfahren, daher stelle ich mich mal in Abschnitt B und hoffe das Beste. Ich habe großes Glück, mein Wagen 5 hält tatsächlich fast direkt vor meiner Nase. Ich muss also nicht mit meinem Rollator noch am Bahnsteig entlang zum richtigen Wagen hetzen. Meinen Rucksack habe ich inzwischen aufgesetzt, damit ich mit dem Rollator flexibler bin. Die Tür zum Wagen 5 geht auf, Leute steigen aus. Als ich mit dem Einsteigen dran bin, hebe ich meine (sehr leichte) Gehhilfe selbst an und die Stufen hoch. Nun zum Sitzplatz 144 … Doch: Drama! Der Gang ist 5 cm zu schmal! Ich komme mit meinem Rollator nicht hin. Die Leute sprechen mich besorgt an. Ich kläre die Sache auf, sage, dass ich nicht gehbehindert bin. Trotzdem muss eine Lösung her. Ich lasse den Rollator im Türbereich stehen und gehe in den Wagen, um zu schauen, ob im Kofferregal unten Platz ist, wohin ich meinen Rollator stellen kann. Ja, da ist was frei, Gott sei Dank. Ein junger Mann bietet mir seine Hilfe an. So heben wir den Rollator über alle Sitze hinweg zur Mitte des Wagens, zum Kofferregal. Puh, geschafft. Erleichtert lasse ich mich auf meinen Sitz fallen.
Sachliche Bewertung: 0 von 5 Sternen, weil man nicht spontan Zug fahren kann. Denn, das habe ich später herausgefunden, ich hätte im Vorfeld, beim Ticketkauf, einen Rollstuhlplatz (für meinen Rollator) und einen Sitzplatz (für mich) buchen müssen.
Part 7: Straße überqueren
Ankunft in München. Mein Mann holt mich netterweise mit dem Auto ab (es ist – planmäßig, immerhin! – inzwischen 21:44 Uhr), sodass ich nicht in den „Genuss“ komme, auch noch U-Bahn und Bus testen zu können / zu müssen.
Ich verlasse den Zug, durchquere die Bahnhofshalle ohne Zwischenfälle. Mein Mann wartet ca. 100 m vom Ausgang entfernt auf mich. Beim Überqueren einer Straße werden die Straßenbahnschienen zum Hindernis und der Bordstein ist zu wenig abgesenkt. Ich muss meinen Rollator jeweils leicht anheben, was nur geht, weil sich mein schwerer Rucksack wieder auf meinem Rücken befindet. Gehbehinderte mit Rollator wären verzweifelt.
Sachliche Bewertung: 0 von 5 Sternen
Hier endet mein Experiment.
Hätten Sie geahnt, dass das Reisen mit Rollator so beschwerlich bis unmöglich ist? Ich nicht!
Ich bin jedenfalls sehr froh über diese Erfahrung.
In diesem Sinne: Respekt allen Leuten, die einen Rollator durch den Alltag schieben müssen! Aber: Zum Glück gibt es immerhin diese Gehhilfen! 🙏🏻 Nur die Infrastruktur muss sich noch deutlich verbessern!
PS: Warum ich den Rollator im Zug nicht einfach zusammengeklappt habe? Der Korb war darauf so festgebunden, dass ich den Knoten nicht ohne Werkzeug lösen konnte.




